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Durch ein Umdenken bei der traditionellen Fertigung kann es gelingen, die von den Unternehmen als Belastung empfundene Produktion in einen Aktivposten zu verwandeln.

Veränderte Sichtweise

 

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Die Produktion von Waren war von der Mitte des 19. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ein wichtiger Motor für materiellen Wohlstand. Nach wie vor bildet die traditionelle Produktion das Rückgrat der Weltwirtschaft. Millionen von Unternehmen sind im produzierenden Gewerbe tätig. Sie erwirtschaften geschätzt 17% des globalen Bruttoinlandsprodukts – und sogar noch mehr, wenn man die zugehörigen Dienstleistungen miteinbezieht. In den letzten Jahrzehnten jedoch hat die Fertigung in vielen Industrieländern an Bedeutung verloren und wird von der Öffentlichkeit weniger beachtet, da die reicheren Länder ihre Produktion zunehmend in Entwicklungsländer auslagern. Einige Länder sind sogar dazu übergegangen, klassische Fabriken und andere Herstellungseinrichtungen aufgrund ihrer strategischen Ausrichtung eher als Belastung denn als Aktivposten zu betrachten.

Doch woher kommt dieser Ansehensverlust der klassischen Produktion bei den Unternehmen der westlichen Welt? Die Ursachen liegen unter anderem in dem wachsenden Druck auf die Industrieunternehmen, Effizienzsteigerungen zu erzielen, in den immer globaler werdenden Lieferketten und in der Konkurrenz durch Lohnhersteller. In Kombination mit dem steigenden Druck durch Investoren entsteht so die Befürchtung, irgendwann mit "stranded assets" aus den heute bestehenden Produktionsstätten dazustehen.

Das "Lean-Prinzip" überwinden

Nicht wenige Unternehmen würden nur allzu gerne ihre klassischen Produktionsbereiche komplett abstoßen. Sie wünschen sich, wie Apple "Asset Light" zu werden, d.h. ausschließlich für das Design, Branding und Marketing von coolen Produkten verantwortlich zu sein, während andere die "simple" Fertigung für sie übernehmen. Natürlich ist das in vielen Fällen wegen bestehender Sachwerte, wie z.B. Fabriken, aufgrund des Personalbestands oder wegen Standortbeschränkungen und Investitionsbedarf nicht möglich. Abgesehen davon sind auch allgemeine Aspekte zu berücksichtigen, wie die Sicherung lokaler Arbeitsplätze und die zukünftige Verfügbarkeit kritischer Güter zu wettbewerbsfähigen Preisen.

Jahrelang konnten die Hersteller dem Druck nur entkommen, wenn sie ihre Fabriken in Billiglohnländer verlagerten oder die Produktivität ihrer eigenen Herstellungsprozesse durch verstärkte Automatisierung und Methoden wie den "Lean-Ansatz" erhöhten. Seit Kurzem jedoch eröffnet die Digitalisierung/Industrie 4.0 Herstellern zusätzliche Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung, welche die Auswirkungen von höheren Lohnkosten reduzieren, die für ihre Arbeitskräfte in deren Heimatländern anfallen. Doch auch hier erweist sich die Umsetzung oft als schwierig und ist mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden.


Die Chance erkennen

Wir glauben, dass es langfristig gesehen ein strategischer Fehler sein könnte, der Produktion den Rücken zu kehren. Mit dem richtigen innovationsbasierten Ansatz kann es den Unternehmen gelingen, sowohl ihre Produktionskompetenzen als auch ihren Bestand an Fertigungsanlagen in einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil zu verwandeln.

Eine Reihe von Trends weisen jetzt in dieselbe Richtung und bieten den Herstellern die einmalige Gelegenheit, ihre Branche zu transformieren und die Produktion auf ein neues Level zu heben. Nachhaltigkeit gewinnt an Bedeutung und wird nun von Verbrauchern, Investoren und Regierungen gleichermaßen gefordert. Auch der Aspekt der Regionalität steht zunehmend im Fokus. Ihm liegt der Wunsch zugrunde, geopolitische Risiken zu minimieren, Risiken in der Lieferkette sowie lange Vorlaufzeiten zu vermeiden und die Produktion näher an die Nachfragemärkte zu bringen. Die Verbraucher zeigen ein wachsendes Bewusstsein für die regionale Kultur, weshalb sie immer häufiger regional produzierte Produkte wünschen.

Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach individualisierten Produkten, was aufgrund kleiner Chargen ("Losgröße 1") die Komplexität erhöht. Zahlreiche Regierungen sind bestrebt, lokale Arbeitsplätze in der Industrie zu erhalten, die Kontrolle über kritische Waren zu gewinnen und regionale Hersteller bzw. ihre eigene Wirtschaft zu unterstützen. Technologische Umbrüche, wie z.B. die Elektromobilität in der Automobilindustrie, haben ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die Industrielandschaft und das produzierende Gewerbe. Zudem wirken sich die Digitalisierung und die vierte industrielle Revolution (die Automatisierung traditioneller Fertigungsverfahren mithilfe intelligenter Technologien, wodurch Innovationen möglich werden, wie beispielsweise die vorausschauende Wartung) derzeit störend auf viele Aktivitätsbereiche der Hersteller aus. Derartige Beeinträchtigungen wird es auch in Zukunft geben.

Die aktuellen und künftigen Effekte dieser Entwicklungen unterscheiden sich von Branche zu Branche. So ist beispielsweise Nachhaltigkeit ein wichtiger Impulsgeber in der Mode- und Konsumgüterindustrie. Im Investitionsgüterbereich, in dem eher Automatisierung und Digitalisierung im Vordergrund stehen, spielt das Thema dagegen eine untergeordnete Rolle.

Wettbewerbsvorteile sichern

Die Hersteller können diese Trends aktiv nutzen, um ihre Zukunft zu sichern. Nie war ihr Spielraum für eine Neuausrichtung und Umgestaltung der klassischen Produktion größer. Sie müssen unter anderem ihren Blickwinkel erweitern, neue Formen der Zusammenarbeit und neue Dienstleistungen finden (oder wiederentdecken), nach einer Datenbereitstellung suchen, neue Value-Added-Gebiete erschließen und eine größere Transparenz in ihren Lieferketten ermöglichen, aber auch ihren Footprint, die Make-or-buy-Entscheidung sowie die Automatisierungs- und Digitalisierungs¬möglichkeiten verändern. Den Herstellern stehen neue Instrumente zur Verfügung, um auf neue Kundenbedürfnisse branchenübergreifend einzugehen. Anstatt wie in der Vergangenheit ausschließlich auf die Steigerung der Produktivität zu setzen, sollten sie ihren Fokus verändern und sich in Zukunft darauf konzentrieren, ihre Wettbewerbsfähigkeit in der neuen Produktionsära wiederzuerlangen.

Roland Berger veröffentlicht regelmäßig Beiträge zum Thema Next Generation Manufacturing und zu den Chancen, die sich für Unternehmen daraus ergeben. Unten finden Sie eine Auswahl unserer aktuellen Publikationen mit neuesten Forschungsergebnissen, Experteneinschätzungen und Zukunftsszenarien.

 

Source: www.rolandberger.com

 

 

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