Mit einer provokanten Frage eröffnete Dr. Sebastian Tewes, Leiter Technik und Innovation im Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie (BDG), seinen Vortrag in der Session „Machen KI und neue Berufsbilder die Gießereien wettbewerbsfähig?“ beim Deutschen Gießereitag 2025 in Aachen:
„Brauchen wir künftig mehr menschliche oder künstliche Intelligenz in unseren Betrieben?“
Eine Frage, die ins Schwarze traf – denn sie verweist auf einen tiefgreifenden Wandel, der die Branche bereits erreicht hat. Die klare Botschaft:
Reine menschliche Intelligenz reicht künftig nicht mehr aus, wir brauchen beides – wer künstliche Intelligenz nicht als Werkzeug integriert, riskiert den Anschluss.
Von der Computer-Skepsis zur KI-Realität
Bereits 1985 diskutierte der Deutsche Gießereitag über das „Computerzeitalter in der Gießerei“. Damals war die Skepsis groß – heute ist eine Gießerei ohne digitale Systeme undenkbar.
Bei KI erleben wir derzeit eine ganz ähnliche Debatte. Doch was heute noch visionär erscheint, wird in wenigen Jahren Standard sein: autonome Systeme, assistierende KI, datengetriebene Prozessoptimierung.
Vier Treiber, die den Wandel beschleunigen
Dr. Tewes machte deutlich: Die Transformation kommt nicht zufällig – sie wird durch globale Entwicklungen massiv beschleunigt:
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Globale Krisen & Lieferengpässe: Unternehmen müssen resilienter und lokaler produzieren.
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Klimawandel & CO₂-Druck: Energie- und Ressourceneffizienz werden zu harten Wettbewerbsfaktoren.
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Fachkräftemangel & demografischer Wandel: Ohne digitale Unterstützung wird es schwer, junge Talente zu gewinnen und Wissen im Betrieb zu halten. Stichwort: War for Talent
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Digitale Disruption: Prozesse müssen schneller, präziser, effizienter laufen – dafür braucht es KI-basierte Assistenzsysteme.
Was heute schon möglich ist
Die Technologie ist längst da – man muss sie nur nutzen:
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Humanoide Roboter wie „Figure 01“ oder „Optimus“ übernehmen erste autonome Produktions- und Logistikaufgaben.
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Papierlose KI-Systeme in chinesischen Flughäfen zeigen, wie nahtlose Nutzerführung funktioniert – ein Vorgeschmack auf die Erwartungen kommender Generationen auch in der Industrie.
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Fahrzeuge werden zu mobilen Endgeräten
Gießereien unter Zugzwang
Der Handlungsdruck ist enorm:
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Der Digitalisierungsgrad vieler mittelständischer Gießereien liegt nur bei 30 %.
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Die Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte sinkt – insbesondere bei Ingenieuren und Technikern landen wir bei 30% Abdeckung
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Neue Mitarbeitende müssen schneller eingearbeitet werden – KI-gestützte Assistenzsysteme helfen, fehlende Erfahrung zu kompensieren.
Projekt ReGAIn: Digitalisierung zum Anfassen
Ein konkretes Beispiel und konkrete Handlungsanweisung ist das Forschungsprojekt ReGAIn, das Dr. Tewes vorstellte:
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20 Partner, 17 Teilprojekte, rund 1 000 Personenmonate Entwicklungsarbeit.
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7 Institutionen und zwei Verbände VDMA und BDG
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Ziel: Standardisierte Datenschnittstellen (OPC UA, Catena-X), KI-basierte Prozess- und Produktmodelle, und ein Shopfloor-übergreifendes Assistenzsystem.
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Herzstück: Die digitale Lernplattform „Gießerei-Kompass 4.0“ mit derzeit rund 30 Lernmodulen („Lernnuggets“) zu Themen wie Reifegrad-Checks, Best Practices und Datenkompetenz.
Fazit: KI ist keine Bedrohung – sondern unsere Chance
Die Kombination aus menschlicher und künstlicher Intelligenz ist der Schlüssel zu einer widerstandsfähigen, nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Gießerei.
Wer jetzt investiert – in Standards, in Datenkompetenz, in Weiterbildung – stellt die Weichen für die nächsten Jahrzehnte.
Dr. Tewes schloss seinen Vortrag mit einem klaren Appell: „Digitalisierung und KI sind keine vorübergehenden Trends. Sie sind unsere Chance – und davon gibt es nicht viele. Wer zu lange zögert, dem bleiben nur die Reste. Jetzt ist der Moment, zu handeln.“