Von Eva Wagebach
Die Gießerei-Industrie steht unter enormen Druck. Die hohen Strompreise gefährden die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Branche. Die Procast Handform GmbH aus Kiel beschreitet deshalb neue Wege: Sie richtet ihre Produktion am Börsenstrompreis aus und nutzt dazu eine eigens entwickelte KI. Dadurch will sich die Gießerei langfristig im Wettbewerb behaupten.
Die Strompreise in Deutschland sind in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Die energieintensive Gießereibranche treffen diese Preissteigerungen besonders hart. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Kosten aufgrund des harten Wettbewerbs in der Regel nicht auf die Produktpreise umgelegt werden können. Auch die Geschäftsführung der Procast Handform GmbH in Kiel fragte sich, wie man angesichts dieser hohen Energiekosten seine Wettbewerbsvorteile wahren kann. Der Strompreis hatte sich für das Unternehmen seit 2019 innerhalb von vier Jahren um 350 Prozent erhöht.
Als stromintensiver Fertigungsbetrieb erhält Procast zwar eine Strompreiskompensation, doch das wirkt sich nicht auf die Produktkosten aus, stellt Björn Ploch, Geschäftsführer der Procast Handform GmbH, klar: „Ich bin gesetzlich verpflichtet, diese Kompensationszahlungen sofort in Energieeinsparmöglichkeiten zu investieren. Bis sich das amortisiert, dauert es mehrere Jahre. Kurzfristig bringt diese Förderung also nichts." Die Procast Handform GmbH aus Kiel ist eine der führenden Gießereien für Motorengehäuse und Zylinderköpfe in Europa. Die auf den Mittelstand spezialisierte deutsche Beteiligungsgesellschaft Private Assets SE hatte das Unternehmen 2022 erworben und in die Procast Guss GmbH eingegliedert. Das Unternehmen verfügt über weitere Standorte in Gütersloh, Nortorf und Bilbao (Spanien).
Preis-Spread an der Börse steigt
Um weiterhin wettbewerbsfähige Preise anbieten zu können, suchte Procast Handform nach Optionen, die Energiekosten zu senken. Dafür führte das Unternehmen bereits im Jahr 2023 am Standort in Kiel die Nutzung des Börsenstrompreises ein. Während die Strompreise innerhalb der Stromverträge nämlich grundsätzlich gestiegen sind, sinkt der Einkaufspreis an der Börse zwischenzeitlich deutlich. Dies liegt daran, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland rasant zunimmt. Resultat ist ein größerer „Preis-Spread“ an der Börse. Außerdem gibt es zu bestimmten Zeiten seit jeher „Dellen“ bei den Strompreisen, da der Verbrauch von Strom schwankt. So sinkt die Nachfrage nach Industriestrom beispielsweise mittags und am Abend besonders stark. Wer zu diesem Zeitpunkt Strom verbraucht, spart bares Geld. Das wollte Procast Handform für sich nutzen: Das Unternehmen einigte sich mit seinem Energieversorger auf einen Vertrag mit einem Spotmarkt-Tarif.
Die Idee, den Börsenstrompreis für die Senkung der Kosten zu nutzen, ist nicht neu. Doch nicht jeder Gießerei gelingt die Umstellung. Die Fertigung der Procast Handform in Kiel ist ausgelegt auf große Gussteile mit einem Gewicht von bis zu 55 Tonnen. Aktuell werden Motoren gegossen – der Zeitpunkt ist flexibel. Ideale Voraussetzungen, um den Spitzen-Stromverbrauch in Zeiten zu legen, in denen der Börsenstrompreis günstig ist. Konkret läuft das wie folgt ab: Sobald der sog. „Day-Ahead-Preis“ – also der Strompreis für den Folgetag – von der Strombörse „EPEX“ veröffentlicht wird, entscheidet der Schmelzbetrieb, wann der Ofen mit dem Schmelzen startet. Nutzt man die niedrigen Spotmarktpreise, macht sich das deutlich bemerkbar: „Wir produzieren dann, wenn die Kilowattstunde wenig kostet", so Ploch. „Auf diese Weise bekommen wir die Energiekosten wieder in den Griff.“ Termingerechter Stromeinkauf, das sei eine echte Kompetenz in der heutigen Zeit, betont Ploch.
KI-Programm analysiert Preisschwankungen
Eine Gießerei ist jedoch kein Schnellboot. Um die Schmelze möglichst frühzeitig planen zu können, nutzt man in Kiel zusätzlich ein eigenes Forecast-System. Entwickelt hat es die „Digital Group“ des Handform-Gesellschafters Private Assets, die von Florian Feddeck geleitet wird. „Das KI-Programm analysiert die Strompreis-Schwankungen der letzten Monate und wertet diese aus“, erläutert er das Prinzip. „Auf Basis der Daten wissen wir schon vor der Veröffentlichung des Day-Ahead-Preises, wann sich das Schmelzen besonders lohnt.“ Mit dem Wissen aus dem Programm ist Procast in der Lage, die Produktion mit Vorlauf zu planen. Der Day-Ahead-Preis ist dann eine zusätzliche Stellschraube, um die Produktionszeit minutengenau zu justieren.
Über die Procast Gruppe
Die Procast Gruppe ist eine der führenden Kundengießereien in Europa. Als Komplettsortimenter kann Procast seinen Kunden alle Leistungen anbieten: Konstruktion, Design, Guss, mechanische Bearbeitung, Beschichtung und Montage von Eisengussbauteilen. Procast verfügt über Fertigungskapazität von 55.000 Tonnen Gussprodukten. Zum Einsatz kommen sowohl standardisierte als auch innovative Eisenguss-Werkstoffe. Die Kunden von Procast Guss stammen aus dem Maschinen-, Nutzfahrzeug- und Werkzeugbau. Rund 400 Mitarbeiter sind an insgesamt vier Strandorten im Einsatz. Der Hauptsitz befindet sich in Gütersloh.