Zeitenwende für die Globalisierung
Die Spielregeln des Welthandels verändern sich rasant: Zölle als politisches Druckmittel, staatliche Industriepolitik als Standortfaktor, Wertschöpfungsketten unter geopolitischer Beobachtung. Besonders Europa tut sich schwer, diese neue Realität zu akzeptieren. Doch was bedeutet das für die Gießereiindustrie – eine Branche, die wie kaum eine andere von globalen Märkten und Netzwerken abhängt?
Wir sprachen mit José Javier González, Generalsekretär der World Foundry Organisation (WFO), über Risiken, Chancen und die Rolle der WFO in dieser Phase des Umbruchs.
„Eigentümer und Manager schauen heute auf geopolitische Signale wie nie zuvor“
FP: Welche Entwicklungen bei Zöllen und Handelsbarrieren sehen Sie – und welche Risiken entstehen für die internationale Zusammenarbeit?
González: „Die Welle neuer Zölle, Gegenzölle und volatiler Abkommen schafft ein völlig neues Umfeld. Lieferketten reißen, Kosten steigen, gerade in Automobil und erneuerbaren Energien. Multilaterale Institutionen wie die WTO geraten ins Wanken. Viele Gießereien reagieren mit regionaleren Lieferketten, Preisanpassungen oder einer Rückverlagerung auf heimische Märkte.
Neu ist, dass Eigentümer und Manager geopolitische Signale heute fast in Echtzeit verfolgen, um sofort gegenzusteuern. Das schwindende Vertrauen in multilaterale Strukturen treibt Länder zusätzlich in bilaterale und regionale Lösungen.“
Deglobalisierung: Risiko und Chance zugleich
FP: Schwächt Regionalisierung die globalen Netzwerke – oder eröffnet sie Chancen im Reshoring?
González: „Beides. Selbstversorgung klingt nach Sicherheit, kann aber den Zugang zu Rohstoffen, Technologien und Know-how beschränken. Für eine international vernetzte Branche ist das riskant. Deshalb setzt die WFO bewusst auf weltweite Kooperation.
Auf der anderen Seite entstehen Chancen: Werke entstehen näher an den Endmärkten, Investitionen steigen – etwa in Mexiko oder der Türkei. Aber: Ohne Fachkräfte bleibt Reshoring ein leeres Versprechen. Wir müssen die Attraktivität der Branche erhöhen und Effizienzgewinne nutzen, sonst verpufft dieser Trend.“
Europa unter Druck, Asien auf der Überholspur
FP: Wie ordnen Sie die drei großen Regionen für unsere Gießereiindustrie ein?
González: „Am Ende entscheidet immer die Kombination aus Industriepolitik und Marktunterstützung.“
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China: „Über die Hälfte der weltweiten Gussproduktion, starke Skaleneffekte, stabile Lieferketten – aber das Risiko von Überkapazitäten ist real. Asien-Pazifik bleibt vorne.“
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USA: „Positive Stimmung, industriepolitische Programme wirken, Modernisierung wurde durch steigende Kosten erzwungen. Spannend bleibt, wie sich die Handelspolitik weiter entwickelt.“
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Europa: „Die doppelte Transformation – Digitalisierung und Nachhaltigkeit – ist unvermeidbar. Doch hohe Energiepreise sind ein massiver Nachteil. Gesetze wie der Critical Raw Materials Act oder CBAM helfen, aber ohne schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien droht eine schleichende Deindustrialisierung.“
Qualitätsanforderungen: Vielfalt und Annäherung
FP: Unterscheiden sich die Qualitätsanforderungen regional – oder harmonisieren sie sich bereits?
González: „Beides. Unterschiedliche Regulierung, Kulturen und Erwartungen prägen die Märkte – von Nachhaltigkeit über Innovation bis zu Lieferzeiten. Aber die Tendenz geht zur Angleichung: ISO, ASTM, globale Standards in Automotive und Aerospace, dazu Industrie 4.0. Politische Volatilität kann diese Entwicklung jedoch jederzeit in beide Richtungen lenken – vereinheitlichen oder fragmentieren.“
Wachstumstreiber: Verteidigung, Reshoring, Nachhaltigkeit, Digitalisierung
FP: Wo sehen Sie die größten Potenziale für die nächsten Jahre?
González: „Vier Felder stechen hervor:“
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Verteidigung: „Militärausgaben steigen weltweit. Präzisionsgussteile für Fahrzeuge, Schiffe, Flugzeuge und Munition sind gefragt – technisch anspruchsvoll, aber lukrativ.“
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Reshoring & regionale Hubs: „Produktionsverlagerungen in Kombination mit Automatisierung sind eine große Chance für flexible Gießereien.“
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Nachhaltigkeit & Kreislaufwirtschaft: „CO₂-Reduktion, Energieeffizienz und Technologien wie Carbon Capture setzen Investitionsimpulse. Wer Low-Carbon-Prozesse beherrscht, erschließt Zukunftsmärkte.“
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Digitalisierung: „Die Kombination aus digitaler Prozesssteuerung, nachhaltigen Lösungen und agilen Lieferketten – ergänzt um eine Strategie gegen den Fachkräftemangel – schafft nachhaltige Wettbewerbsvorteile.“
„KI ist kein Trend, sondern ein Differenzierungsfaktor“
FP: Wo entfalten Digitalisierung und KI den größten Nutzen – in Produktion, Logistik oder Qualitätssicherung?
González: „In allen Bereichen. 2025 ist Digitalisierung in vielen Ländern das Top-Investitionsthema. KI ist längst Alltag: Sie verbessert Fehlererkennung und Prozessoptimierung, reduziert Ausschuss, beschleunigt Zyklen und spart Energie. Digitale Zwillinge machen Optimierung vor Produktionsbeginn möglich. Und in der Supply Chain helfen KI-Prognosen bei Materialplanung und Logistik.
Kurz gesagt: KI ist kein Trend mehr – sondern der entscheidende Differenzierungsfaktor.“
WFO als Stimme der Branche
FP: Wie gelingt es einer Weltorganisation, so unterschiedliche Mitglieder zu einen?
González: „Mit einer klaren Governance: ein Land, eine Stimme, rotierende Führungsrollen – unabhängig von der Marktgröße. Wir setzen auf Themen, die alle betreffen, etwa Datenzugang. Gleichzeitig stärken wir Kommunikation und Präsenz, damit auch spezifische Bedürfnisse gehört werden. Gemeinsame Ziele sind die Grundlage für gemeinsamen Erfolg.“
FP: Moderator, Branchenstimme oder Innovationstreiber – wie versteht sich die WFO selbst?
González: „Als kollektive Stimme und zugleich als Treiber von Transformation. Dafür gibt es unter anderem den Summit 2025, zu dem sich bereits Teilnehmer aus 16 Ländern und vier Kontinenten angemeldet. Diese Vielfalt ist unsere Stärke – und in Chantilly schaffen wir die Räume, um Lösungen gemeinsam zu entwickeln.“
World Foundry Summit 2025
2.–3. Oktober 2025, Chantilly (Frankreich)
Zwei Tage Strategie und Technik mit internationalen Top-Referenten – plus exzellente Möglichkeiten für Austausch und Networking. CEOs reshaping the Foundry Industry.
FP: José Javier vielen Dank für die interessanten Einsichten und Statements, wir wünschen dem Summit in Frankreich viel Erfolg und gutes Gelingen!
Das Interview führte Thomas Fritsch, Foundry-Planet Chef-Redakteur