Wachs oder PMMA?
TITAL setzt bei der Produktion der Feingussteile sowohl auf Wachslinge als auch auf den 3D-Druck von PMMA. Beim Wachsausschmelzverfahren werden die benötigten Wachslinge klassischerweise durch Einspritzen in Aluminiumwerkzeuge hergestellt. Das Wachsmodell wird anschließend mit einem Angusssystem versehen. Speiser und Steiger werden entsprechend angeklebt und das gesamte Modell mit einer Keramik ummantelt. Nachdem die Keramikschale angebracht ist, erfolgt das Ausschmelzen des Wachses. Übrig bleibt eine hohle Keramikform, in die die Schmelze eingegossen wird. Ähnlich verhält es sich bei der Nutzung von PMMA 3D-Druck-Modellen, jedoch mit einem gravierenden Unterschied: Statt Aluminiumwerkzeuge für die Wachsmodelle sind lediglich 3D-Daten erforderlich. Ein weiterer Vorteil: Das Angusssystem kann direkt mitgedruckt werden. „Außerdem nimmt das Anfertigen der Wachswerkzeuge eine gewisse Zeit in Anspruch, sie sind wenig änderungsfreudig, kostenintensiv und wenig flexibel“, erklärt Rainer Sabisch. PMMA ist ein transparenter thermoplastischer Werkstoff, der durch Polymerisation des Monomers Methylmethacrylat gewonnen wird. Auf Grund seiner Transparenz, Brillanz und Kratzfestigkeit wird PMMA oft als leichte und splittersichere Alternative zu Glas eingesetzt und als Acryl- beziehungsweise Plexiglas bezeichnet. Im 3D-Druck wird es als Pulver verarbeitet und mit einem speziellen Binder Schicht für Schicht (Schichtstärke 150 µm) zu dreidimensionalen Objekten verklebt. Zum Einsatz kommt dabei die VX1000 von voxeljet. Ein großformatiger 3D-Drucker mit einem Bauvolumen von 1.000 x 600 x 500 Millimeter.
Die Frage ist: „Wann wähle ich welches Verfahren?“ Dazu Florian Rauscher, Manager On-Demand-Printing bei der voxeljet AG: „Der entscheidende Faktor ist die Stückzahl. In Serienfertigungen, wenn die Stückzahlen groß werden, sind Wachsspritzformen die erste Wahl und konkurrenzlos. PMMA-Anlagen sind hier, je nach Komplexität der Geometrie, am Limit. Gerade bei einfacheren Geometrien sind die Werkzeugkosten überschaubar und daher der Break-Even im Vergleich zum 3D-Druck recht gering. Auch, was die Bauteilkosten angeht.“ Ein über ein Werkzeug abgeformtes Wachsmodell kostet weniger als ein PMMA-Modell. Jedoch ist das Anfertigen dieser notwendigen Werkzeuge zunächst teuer. Die entsprechenden Fertigungsanlagen hat TITAL bei sich im Unternehmen. Der Feingussspezialist kann diese mehrschichtig betreiben. Die Herstellung von Wachslingen geht, sofern das Werkzeug bereits vorrätig ist, wesentlich schneller. Außerdem sind über die in einer Serie eingerichteten Wachsspritzformen wesentlich höhere Kapazitäten möglich als mit PMMA-3D-Druckmodellen. Die Größe der Bauteile spielt bei beiden Verfahren keine Rolle. „Sie ist kein limitierender Faktor. Baumaße von bis zu 1,1 x 1,1 Meter bekommt TITAL sowohl über Wachs als auch PMMA geregelt, wenn auch nicht einteilig“, so Rainer Sabisch.
Schließlich ist die Design-Beständigkeit ein weiterer Faktor. „Wenn ich weiß, dass ein Motorsportler alle zwei Tage das Design ändert, dann kommen Hersteller mit der ständigen Werkzeugänderung nicht hinterher“, so Sabisch. Im Aerospace-Sektor gilt das für die Entwicklung. Durchläuft ein Bauteil gerade in der Anfangsphase viele Iterationsstufen, ist der Einsatz von PMMA-Modellen effizienter und zielführender. „Zumindest solange bis die Basis für Serienfertigung erreicht ist“, ergänzt Florian Rauscher. PMMA-Modelle eignen sich somit in hervorragender Weise für Entwicklungszwecke und Kleinserienproduktionen.
Erster Kontakt mit dem 3D-Druck
TITAL ist vor über 20 Jahren zum ersten Mal mit dem 3D-Druck in Kontakt gekommen. Begonnen hat alles mit einem Werkzeugmacher, der damals schon im Bereich 3D-Druck sehr aktiv war. Gearbeitet wurde damals noch mit Polystyrol. „Polystyrol-Pulver war in Verbindung mit dem Laser-Sinter-Verfahren das erste Verfahren, das auf dem Markt war und mit dem wir Bauteile für unsere Einsatzzwecke generieren konnten“, fährt Sabisch fort.
Im Jahr 2005 kam dann voxeljet mit seinem neuen PMMA-Materialset auf den Plan. Seitdem bezieht TITAL PMMA-Modelle von voxeljet, die diese im Binder-Jetting-Verfahren fertigt. „Da passt die Qualität, da passt die Oberfläche, da passen die Parameter“, zeigt sich Sabisch zufrieden. PMMA hat immer mehr Einzug gehalten und Polystyrol nach und nach komplett abgelöst. Dabei ging es weniger um Materialeigenschaften, als um die maßliche Genauigkeit. Es hat sich herausgestellt, dass die maßliche Genauigkeit bei Polystyrol bei weitem nicht so gut war, wie bei PMMA-Modellen. Lasersintern ist ein heißes Verfahren, bei dem das Polystyrolmaterial per Laser aufgeschmolzen wird. Die damit eingeführte Energie und Wärme führt oftmals zu Verzügen in den Modellen. Die Herstellung der PMMA-Modelle erfolgt stattdessen bei Raumtemperatur, weshalb keine Verzüge auftreten und eine hohe Maßgenauigkeit erreicht wird. Ein weiterer Pluspunkt ist der negative Ausdehnungskoeffizient des PMMAs. Statt sich auszudehnen, fällt PMMA einfach in sich zusammen, wenn es mit Hitze, wie etwa beim Ausbrennen des Modelles aus der Keramikschale, in Berührung kommt. Beim Überziehen und Brennen der Keramik kommt es seltener zum Bruch der Schale.
DMLS (Direct Metall Laser Sintering): Eine Alternative zum 3D-Druck von Feingussmodellen?
In der Vergangenheit betrieb der Mutterkonzern von TITAL, damals noch mit Namen Arconic, einige Fertigungsanlagen sowohl in der Entwicklung als auch in der Produktion im metallischen 3D-Druck. Das Unternehmen distanzierte sich aber im Laufe der Umstrukturierungsphasen in den letzten zehn Jahren vom rein metallischen 3D-Druck und fokussierte sich auf den Feinguss. „Metallischen 3D-Druck finde ich per se gut und spannend. Er hatte einen gewissen Hype erfahren und war für uns ein ‚Enabler‘, der uns Türen zu neuen Technologien öffnete“, sagt Rainer Sabisch. „Jedoch ist einiges nicht so eingetroffen, wie wir es erhofft hatten. Der Durchbruch blieb aus. Es hat sich herausgestellt, dass der metallische 3D-Druck doch nicht alles abbilden konnte und er sich bei sicherheitsrelevanten Aspekten einschließlich der Zertifizierung deutlich schwerer tut.“
Einer der Hauptgründe für den Feinguss ist die Bauteilgröße. Beim metallischen 3D-Druck lassen sich großformatige, topologieoptimierte Strukturen kaum herstellen. Zumindest nicht in einem Stück. Der Schwerpunkt beim Metall-3D-Druck liegt im Bereich einer Plattformgröße durchschnittlich 300 x 400 x 400 Millimeter. „Mit dem PMMA 3D-Druck ist eine Segmentierung und das anschließende Zusammenfügen zu einem Bauteil möglich“, erklärt Florian Rauscher. „Auf diese Weise können Kunden Bauteile in einer Größe von bis zu 1,5 Metern fertigen.“
Beim Metalldruck besteht außerdem das Problem der Anisotropie. Die mechanischen Eigenschaften sind nicht in jeder Achse die gleichen. Beim Feinguss hingegen sind die mechanischen Eigenschaften, egal in welcher Achse, immer identisch. Bei einem gedruckten Teil ist das nicht der Fall, sodass gedruckte Bauteile gerade für sicherheitsrelevante Bauteile noch nicht zugelassen sind, bzw. genaustens überprüft werden müssen.
Der Feingussprozess ist bei TITAL von jeher bestens etabliert und qualifiziert. „Wir können sicherheitsrelevante, strukturell stark beanspruchte Bauteile auf Basis von PMMA-gedruckten Modellen in bester Qualität vor allem für den sensiblen Bereich der Luft- und Raumfahrt produzieren. Das funktioniert mit metallisch gedruckten Bauteilen nicht“, so Sabisch.
Rundum zufrieden
Rainer Sabisch zeigt sich mit der Zusammenarbeit mit voxeljet rundum zufrieden: „voxeljet liefert hochpräzise PMMA-Modelle, auch für sehr komplexe Bauteile. Sie ermöglichen eine einfache Verarbeitbarkeit im Feingussprozess und eine große Gestaltungsfreiheit für komplexe Geometrien.“ Das ressourcenschonende Verfahren lässt sich problemlos in bestehende Produktionsketten eingliedern. Durch die 3D-Druck gestützte Feingussfertigung vereinfacht TITAL die Arbeitsabläufe und profitiert von reduzierten Liegezeiten, was sich wiederum positiv auf den Gusspreis auswirkt.
Über TITAL
Die TITAL GmbH fertigt und entwickelt hochkomplexe, einbaufertige Aluminium- und Titan-Feingussteile für namhafte Unternehmen aus der Luft- und Raumfahrt, Verteidigung, Elektronik, Optik, dem Rennsport, Maschinenbau und der Medizintechnik. Zu über 90 Prozent beliefert TITAL die Luft- und Raumfahrtindustrie, darunter weltweit führende Flugzeugbauer wie Airbus und Boeing sowie Triebwerkshersteller, beispielsweise Safran Aircraft Engines. Der mittelständische Feingussspezialist, der seit April 2015 zu Howmet Aerospace (damals Alcoa) gehört, wurde bereits 1974 gegründet und profitiert von über 45 Jahren Erfahrung im Bereich Feinguss, Topologieoptimierung, Design-to-Cost und Rapid Prototyping. Am Standort Bestwig im Sauerland in Nordrhein-Westfalen sind derzeit rund 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Das global agierende Mutterunternehmen hat Standorte in 20 Ländern mit 65 Werksniederlassungen und ca. 21.400 Beschäftigten. Im Jahr 2022 erzielte Howmet Aerospace einen weltweiten Umsatz in Höhe von rund 5,7 Milliarden US-Dollar.
Feingussverfahren
Mit dem Feinguss lassen sich hochpräzise und filigrane Gussteile herstellen. Unter den verschiedenen Gießverfahren sticht der Feinguss als komplex und aufwandsintensiv hervor. Anstatt ein Negativ aus einem soliden Modell abzuformen, wird das gewünschte Bauteil aus Wachs oder Kunststoff (z.B. PMMA) als Positiv modelliert. Anschließend wird das Modell in der Gießerei mit mehreren Keramikschichten ummantelt, um eine Form herzustellen. Beim Brennen der Keramik schmilzt das Modell, und eine hohle Keramikform bleibt übrig. In diese wird anschließend die Schmelze gegossen. Je nach Bauteil kann sich der Prozess der Mehrfachumhüllung über mehrere Tage bis Wochen hinziehen. Nach dem Erstarren der Schmelze wird die Form zerstört und das gegossene Bauteil für die finale Verwendung nachbearbeitet oder veredelt. Für das Feingussverfahren lassen sich so gut wie alle gießbaren Legierungen nutzen.
Über TITAL / Howmet
Als Teil des amerikanischen Unternehmens Howmet Aerospace mit langjähriger führender Markenbekanntheit im Herstellerbereich für Luftfahrtkomponenten und weltweit ca. 21.400 Mitarbeiter*innen, ist die TITAL GmbH, mit Stammsitz in Bestwig/Westfalen, in der Nähe von Arnsberg in NRW, ein Hersteller von weltweit anspruchsvollen Aluminium- und Titan-Feinguss-Bauteilen für führende Unternehmen aus der Luft- und Raumfahrt.
Über voxeljet
voxeljet ist ein führender Anbieter von großformatigen Hochgeschwindigkeits-3D-Druckern und On-Demand-Dienstleistungen für Industrie- und Gewerbekunden. Die 3D-Drucker des Unternehmens basieren auf einer pulverbasierten, additiven Fertigungstechnologie, zur Herstellung hochkomplexer Bauteile aus verschiedenen Materialien darunter Sande und Kunststoffe. Das Unternehmen bietet seine 3D-Drucker und On-Demand-Dienstleistungen für Industrie- und Gewerbekunden in den Bereichen Automobil, Luft- und Raumfahrt, Film und Unterhaltung, Kunst und Architektur, Maschinenbau und Konsumgüter an. Weitere Informationen finden Sie auf unserer Homepage www.voxeljet.com,