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Wie künstliche Intelligenz (KI) die Gießerei-Industrie unterstützen kann

Gegenwart trifft Zukunft: Ein Gespräch mit Johannes Messer und Jürgen Schmiezek

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Thomas Fritsch, Chief Editor

Das Gießen von Aluminiumbauteilen ist eines der bedeutendsten Produktionsverfahren im automobilen Leichtbau – heute und auch in Zukunft, Der Anteil Aluminium-Guss im PKW ist in den letzten 50 Jahren kontinuierlich gestiegen.

Nach Jahren permanenten Wachstums kam es seit dem 4. Quartal 2018 erstmals seit 50 Jahren (außer 1994/95 und 2008/09) zu einem Rückgang der Produktionszahlen. In der Folge hat eine Vielzahl von Ereignissen (CO2 Diskussionen/Transformation in der Automobilindustrie, Corona, Ukraine) dazu geführt, dass bis heute keine nachhaltige Erholung dieses Trends eingesetzt hat. Langfristig ist davon auszugehen, dass der Wettbewerb um potenzielles Wachstum – speziell im automobilen Leichtbau (z.B. Strukturteile) – noch stärker über den Preis und das Thema Nachhaltigkeit entschieden werden.

Welche Strategien sollte die Branche angesichts der schwierigen Ausgangslage verfolgen?  Erfolgversprechend hat sich schon Einsatz einer industriespezifischen Technologie erwiesen, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basiert: Hochspezialisierte KI-Software kann die Gießereien dabei unterstützen, im Wettbewerb zu bestehen.

Innovationsführer in diesem Segment ist der Softwareanbieter TVARIT: Das Technologieunternehmen hat eine speziell für Gießereien entwickelte KI-Software auf den Markt gebracht, die bereits erfolgreich im Einsatz ist.

Thomas Fritsch (Geschäftsführer, Foundry-Planet) sprach mit Johannes Messer (Berater der Gussindustrie) und Jürgen Schmiezek (Chief Growth Officer, TVARIT) über die aktuelle Situation der Gießereibranche und die Frage, welchen Beitrag Künstliche Intelligenz zur Zukunft der Branche leisten kann.

Gießerei-Industrie im Wettbewerb der Materialien und Prozesse

Frage: Herr Messer, Sie haben kürzlich die These aufgestellt, dass im Aluminiumguss der Wettbewerb der Zukunft weniger zwischen den Gießereien stattfinden wird. Vielmehr stehe der Aluminiumguss im Wettbewerb mit anderen Verfahren und Materialien. Warum ist das so?

Johannes Messer: Der Trend zum automobilen Leichtbau ist ungebrochen. Experten gehen sogar davon aus, dass dieser Trend durch die Transformation zur E-Mobilität weiter zunehmen wird. Schließlich ist das Fahrzeuggewicht ist ein wesentlicher Parameter, um die Reichweite der Fahrzeuge zu erhöhen. Aus diesem Grund stehen die Fahrzeugstrukturteile im Fokus der Entwickler.

Gewichtsreduzierung bedeutet nicht zwangsläufig, dass die benötigten Teile im Aluminiumguss produziert werden. Andere Materialien (Stahl) aber auch Verfahren (Strangpressen, Blechverarbeitung) bieten ebenfalls Vorteile. Häufig ist das Gewicht der in diesen Materialien oder Verfahren hergestellten Teile nur unwesentlich höher. Hingegen sind die technologischen Eigenschaften vergleichbar, sodass die Kosten den Ausschlag geben.

Was kann künstliche Intelligenz (KI)?

Frage: Herr Schmiezek, die Gießereiindustrie befindet sich im Umbruch. Jetzt kommt TVARIT mit einer neuen Gießerei-Technologie. Glauben Sie, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist?

Jürgen Schmiezek: Wir kommen nicht mit einer neuen Gießerei-Technologie. Wir haben auf Grundlage von Künstlicher Intelligenz (KI) eine industriespezifische Software-Technologie entwickelt, die auf Basis der bestehenden Prozesse die aktuellen Prozess-Parameter erfasst und daraus ganz konkrete Handlungsempfehlungen zur Optimierung des Prozesses an die jeweilige Maschine liefert.

Wir verändern also nicht den Prozess, sondern bestimmen in Echtzeit die jeweils relevanten Prozessparameter und -konstellationen. Das bezieht deren Abhängigkeiten untereinander mit ein, die einen produktionstechnisch signifikanten Einfluss auf ein bestimmtes Optimierungskriterium – wie zum Beispiel Produktqualität – haben. Anschließend errechnen wir für jeden einzelnen Parameter den optimalen Prozesswert. Dies erfolgt immer dynamisch angepasst auf die aktuelle Produktions- und Prozesssituation pro zu produzierenden Bauteil. Der Gießprozess ist auf Grund der Anzahl der Einflussparameter (Ishikawa-Diagramm) sehr komplex und daher  für unsere Technologie besonders geeignet.

Der Zeitpunkt für unsere Software ist der richtige, weil jetzt die Transformation in der Automobilindustrie begonnen hat, also die Umstellung vom klassischen Verbrennungsmotor auf elektrisch betriebene Antriebe. Der Trend zum Leichtbau bietet jetzt große Chancen für die Gießereiindustrie. Unsere Technologie hilft den Gießereien dabei, die zum Teil vorhandenen Preisdeltas bei potenziellen Neuteilen zum Industrie-Benchmark sehr kurzfristig zu schließen und insbesondere sehr schnell eine sehr hohe Prozessfähigkeit, Prozessqualität und Prozessstabilität bei  neuen Produktanläufen zu erreichen.

Frage: Wie sehen Sie das Herr Messer?

Johannes Messer: Die aktuell stattfindende Transformation ist ein Einschnitt in der Geschichte der Gießereiindustrie, weil die entstehenden Risiken für die Gießereien realistisch und komplex sind, die sich bietenden Chancen bewerte ich aber genauso hoch. Künftig werden Sie erfolgreiche Gießereien daran erkennen können, wie hoch die Bereitschaft und die Geschwindigkeit sind, Veränderungen umzusetzen.

Frage: Herr Schmiezek, Sie sind schon auf die von Ihnen entwickelte Softwaretechnologie eingegangen. Können Sie das Thema künstliche Intelligenz für Gießereien noch konkreter beschreiben?

Jürgen Schmiezek: Der Begriff der Künstlichen Intelligenz – oder kurz KI – wird leider oft missinterpretiert. Es wird der Eindruck vermittelt, dass diese ohne die menschliche Intelligenz auskommt oder diese sogar ersetzt. Das ist nicht der Fall.

KI im Allgemeinen ist die Fähigkeit eines Systems, externe Daten richtig im jeweiligen Kontext zu interpretieren. Z.B. muss das System bei Kamera-Daten den Unterschied zwischen einer Person und einem Schatten erkennen. KI muss aus solchen Daten lernen; etwa, dass es in Ordnung ist, über Schatten zu fahren, aber nicht über Menschen. Und schließlich muss KI diese Erkenntnisse dann nutzen, um bestimmte Ziele und Aufgaben durch flexible Anpassung zu erreichen, z.B. ein Fahrzeug autonom und sicher zu steuern.

Übertragen auf ein Gießereiprojekt bedeutet das etwa. Bei der Reduzierung von Porosität müssen die wesentlichen Einflussparameter zunächst im Gespräch mit den Gießereiingenieuren ermittelt werden. Anschließend werden diese Parameter mit den bereits bekannten und in unserer Technologie enthaltenen Parameter abgeglichen. Diese werden direkt an der Maschine erfasst und die Abhängigkeiten untereinander in Korrelation mit den unterschiedlichen Prozesswerten gebracht. Dies findet statt bezogen auf das festgelegte Kriterium, bspw. positive Beeinflussung des Gussteilgefüges in Bezug auf die endgültige Produktqualität.

Um bei der Genauigkeit der Vorhersagen von Parametereinstellungen nahezu 100 Prozent der produktionstechnischen Realität zu erreichen, kombinieren wir zusätzlich das mathematische KI-Modell in einem von uns patentierten Verfahren mit physikalischen Simulationen (FEM). Aufgrund der schieren Menge an möglichen Kombinations- und Korrelationsmöglichkeiten benötigen diese Berechnungen allerdings gigantische Rechnerkapazitäten. Etwa ergeben sich bei nur 20 Einflussparametern allein 2,4*1018 paarweise Kombinationen. Aber nur durch eine KI-Technologie ist es überhaupt erst möglich, dass derart viele Einflussparameter, wie man sie u.a. beim Druckguss vorfindet, in gegenseitiger Abhängigkeit bzw. Korrelation bewertet werden können und das in Echtzeit. Dies ist der große Unterschied zu Prozessoptimierungen durch den Menschen. Die Anzahl der dort gleichzeitig berücksichtigbaren Einflussparameter ist auf ein bis maximal zwei Parameter reduziert.

Wie beim klassischen Lernen wird auch eine industrielle KI immer präziser, je länger diese durch die stets unterschiedlichen Gießzyklen lernt. Das Ergebnis: nahezu perfekt auf die individuelle Produktionsumgebung optimierte Prozessparameter und Einstellungsempfehlungen. Und – das ist mir besonders wichtig zu erwähnen – eine Technologie, die den Gießer erweitert und „empowered“. Diese Kombination ist der Schlüssel für den Erfolg in der Zukunft.


Frage: Herr Schmiezek Sie führen als typisches Beispiel für den Einsatz der KI in den Gießereien Qualitätsverbesserung an. Viele Gießereien haben bei Qualität schon einen sehr guten Status erreicht. Ist Qualitätsverbesserung wirklich der Hebel zum benötigten Kosten-Benchmark?

Jürgen Schmiezek: Qualitätsverbesserung ist dafür ein nur Ansatz unter vielen. Nach unserer Erfahrung bestehen in den Gießereien viele Potenziale zur Senkung der Ausschussrate – und damit eine geringere Energie- und Ressourcenverschwendung. Hinzu kommen Verbesserungen des OEE und die Reduktion des Energieverbrauchs pro Gussteil. Im Prinzip können aber alle komplexen Prozesse mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz verbessert werden. Die Frage, welche Prozesse bzw. welche Kriterien verbessert werden sollen, muss jede Gießerei individuell beantworten. Wir begleiten und beraten die Gießereien im Vorfeld selbstverständlich umfassend.

Johannes Messer: Das kann ich so bestätigen. Oberste Priorität hat die Verbesserung der Produktergebnisse (Kosten pro Bauteil) und der Unternehmensergebnisse (EBITDA). Beides steht im direkten Zusammenhang bzw. Abhängigkeit zueinander. Der wesentliche operative Ergebnishebel ist in den Gießereien der OEE. Hier liegen die Gießereien überwiegend schlechter als andere Industrien.

Die Reduzierung des Energieverbrauchs hat neben der Kostenoptimierung – Energiekosten sind ca. 4 bis 5 Prozent in der G&V der Gießereien – zusätzlich den wichtigen Hebel der CO2 Reduzierung. CO2 -Neutralität ist mittlerweile bei vielen Neuvergaben ein Vergabekriterium und somit ein Must-have – gerade im Bereich der Automobilindustrie,

Know-How-Verlust und Fachkräftemangel, wie kann KI helfen?

Frage: Herr Messer, Sie haben vor einigen Wochen eine von Ihnen durchgeführte Befragung von 30 Top-Managern aus dem Netzwerk der Gießereiindustrie veröffentlicht. Im Ergebnis haben die Manager die Themen Energie, Ergebnisverbesserung, Transformation in der Automobilindustrie und den Know-how-Verlust als wesentliche Herausforderungen der Gießereiindustrie genannt. Wie bewerten Sie das Thema Know-how-Verlust?

Johannes Messer: Know-how-Verlust ist gemeinsam mit dem Fachkräftemangel eine der großen Herausforderungen unserer Branche. Wir haben schon seit Jahren einen Rückgang der Auszubildendenzahlen und stellen diesen Trend leider auch bei den Studierenden fest. Darüber hinaus finden wir in vielen Gießereien eine Überalterung der Know-how-Träger.

Um dieses Thema aktiv anzugehen, muss sich die Gießereiindustrie wieder interessant für junge Leute machen. Der Einsatz moderner Technologien (Simulationen, Gießerei 4.0, KI) ist sicher nicht das Allheilmittel, ich bin aber davon überzeugt, dass der Einsatz dieser Technologien einen Beitrag leisten wird. In Summe müssen wir die Gießereiindustrie wieder ganzheitlich in ein positives Licht rücken. Hier sehe ich die Manager in der Verantwortung.

Jürgen Schmiezek: Dies kann ich nur unterstreichen. Die Attraktivität des Berufsbildes „Gießer“ kann durch die konsequente Ausrichtung auf eine digital unterstützte und erweiterte Produktion sehr deutlich gesteigert werden. Dazu zählen etwa integrierte KI, „Digital Twins“ (also die digitale Darstellung der Produktion) oder intelligente Cobots (kollaborative Roboter, die für die direkte Interaktion/Kollaboration mit dem Menschen konzipiert sind).

Die Industrielle KI ist in hohem Maße in der Lage, die gravierende Herausforderung des „Know-how Verlusts“ wirksam und innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums zu lösen. Das wertvolle Prozess- und Gießerei-Wissen kann in einer solchen Technologie nicht nur effektiv bewahrt, sondern sukzessive ausgebaut werden. Dieses „konservierte, erweiterte“ Wissen kann dann wiederum an jede einzelne Maschine gebracht und damit skalierbar gemacht werden. Es wird sich damit nicht nur das Berufsbild in den Gießereien weiterentwickeln, sondern die KI-Technologie kann auch weniger geschulte Mitarbeiter effektiv „digital befähigen und erweitern“.

Frage: Herr Messer, Herr Schmiezek, ist KI die Zukunft der Gießereiindustrie?

Johannes Messer: KI kann und wird den Gießereien helfen langfristig, aber auch kurzfristig erfolgreicher zu sein. Die Barrieren der kurzfristigen und erfolgreichen Umsetzung sehe ich weniger in der KI-Technologie als vielmehr in der Umsetzung in den Gießereien. Die Bereitstellung der benötigten Prozessdaten und der notwendigen Personalressourcen erfordern einen gewissen Aufwand. Dessen müssen sich die Gießereien bewusst sein.

Persönlich bin ich davon überzeugt, dass nur die Gießereien erfolgreich sein werden, die KVP, Technologieoptimierung und KI als die kurz- und langfristigen Ergebnishebel in ihrer Strategie verankern und zeitnah konsequent umsetzen.

Jürgen Schmiezek: Was den schnellen Erfolg angeht, bin ich auf Grund unserer Erfahrungen aus den bisherigen Projekten in der Gießereiindustrie optimistischer. Wir können mit unserer speziell für die Gießerei-Industrie entwickelten KI-Technologie signifikante Einsparungen zum Beispiel in Bezug auf Ausschuss- oder Energiereduktion von mehr als 20 Prozent innerhalb von 3 Monaten und damit einen ROI innerhalb von weniger als 6 Monaten garantieren.

Ich teile jedoch die Einschätzung von Herrn Messer, dass die Bereitstellung der benötigten Prozessparameter zum Teil herausfordernd ist. Wir haben das erkannt und erfahrene Partner gewinnen können, mit denen wir in den Projekten zusammenarbeiten und können den Gießereien einen weitreichenden Service bieten. Das notwendige Gießerei Know-how muss jedoch von den Gießereien kommen, das sind die Experten.

Unsere Erfahrungen aus mehr als 50 Projekten mit Gießereien waren in Summe und bezogen auf diese Themen sehr gut, trotz der herausfordernden Heterogenität des „Brownfields“. Die erzielten Ergebnisse waren in Bezug auf die minimal zugesagte Einsparung und benötigten Projektlaufzeit in allen Fällen besser als vereinbart.

Herr Schmiezek, Herr Messer, Danke für das Gespräch.

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