Die Gießereiindustrie steht im Zuge der weltweiten industriellen Transformation vor großen Herausforderungen. Hinzu kommen geopolitische Veränderungen, der Strukturwandel in der Automobilindustrie, wachsende Anforderungen an Nachhaltigkeit und CO₂-Reduktion sowie hohe Energiepreise. Dies fordert Unternehmen in bisher nicht gekanntem Ausmaß heraus. Gefragt sind intelligente Prozesse, effiziente Technologien und Partner, die den Transformationsprozess aktiv unterstützen.
JOEST group aus Dülmen ist seit 105 Jahren in diesem industriellen Umfeld zuhause. Mit vibrationsmechanischer Förder- und Aufbereitungstechnik, Kühl- und Entsandungssystemen, Sandregenerierung, Chargiertechnik und kompletten Gattierungs- und Beschickungssystemen hat sich das inhabergeführte Familienunternehmen als führender Lösungsanbieter für Gießereien etabliert. Über 1.100 Mitarbeitende – davon rund 450 am Stammsitz in Dülmen – entwickeln weltweit maßgeschneiderte Systeme, die weit über Standardlösungen hinausgehen.
Wir sprechen mit einem der geschäftsführenden Gesellschafter, Dr. Marcus Wirtz über die besonderen Herausforderungen der Gießereibranche, die Erwartungen internationaler Kunden und die Frage, wie JOEST seine technische Expertise und globale Präsenz einsetzt, um die Industrie fit für die Zukunft zu machen.
105 Jahre German Engineering
FP: Herr Dr. Wirtz, JOEST besteht seit über 105 Jahren in Dülmen. Welche Bedeutung hat dieser Standort heute noch für Ihr Unternehmen?
Dr. Marcus Wirtz (JOEST Group): Wir sind sehr stolz auf unsere Geschichte – aber entscheidend sind die letzten 25 Jahre, die von starker Weiterentwicklung und internationaler Expansion geprägt waren. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher und geopolitischer Herausforderungen schauen wir aber nach vorne: auf neue Technologien, Digitalisierung, Softwarelösungen und effiziente Gesamtsysteme für unsere Kunden.
FP: Sie haben weltweit zwölf Tochtergesellschaften. Welche Rolle spielt da noch die „deutsche Ingenieurskunst“?
Dr. Marcus Wirtz: Eine sehr große. Wir pflegen bewusst das Prinzip German Engineering, auch wenn unsere Tochtergesellschaften eigenständig arbeiten. Unsere größte Tochter sitzt in Australien – dort konzentrieren wir uns ausschließlich auf Mining & Minerals. In den USA, einem unserer größten Wachstumsmärkte, war ich selbst viele Jahre Geschäftsführer. Nach der Phase des Offshorings ist dort vor rund zehn Jahren das Reshoring gestartet, wodurch die Gießereitechnik wieder an Bedeutung gewonnen hat. Viele Betriebe sind alt, die Modernisierung mit moderner Technik bietet enormes Potenzial.
FP: Wie wichtig bleibt trotz Globalisierung die regionale Verwurzelung in Dülmen?
Dr. Marcus Wirtz: Sehr wichtig. Wir haben hier eine hervorragende Infrastruktur, mit hoher Fertigungstiefe, attraktivem Lebensumfeld, Nähe zu Universitäten und ein starkes Ausbildungsprogramm mit sieben Berufsbildern. Zwischen 30 und 40 Auszubildende gehören fest zu unserem Standort – viele übernehmen wir später und bieten ein duales oder berufsbegleitendes Studium an. Das ist ein zentraler Teil unserer Unternehmenskultur.
FP: Wie unterscheiden sich die Märkte in Europa, den USA und Asien?
Dr. Marcus Wirtz: In Europa ist Energieeffizienz das große Thema – neue Produkte, weniger Verbrennermotoren, höhere Automatisierung und Digitalisierung. In den USA spielt der klassische Automobilbereich weiterhin eine bedeutende Rolle, auch mit Verbrennermotoren. Mexiko wächst stark, dort investieren viele Amerikaner und Japaner. Asien hat immer schon sehr hohe Qualitäts- und Reaktionsanforderungen – dort punkten wir mit unseren eigenen Engineering- und Service-Teams vor Ort.