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Die Automobilindustrie im Wandel

Der Wandel einer der weltweit wichtigsten Industrien - der Automobilindustrie - ist in vollem Gange. Marcel Natterer, CEO des Geschäftsbereichs Advanced Materials bei Bühler, und Cornel Mendler, Managing Director Die Casting, berichten über die Chancen und Risiken, das rasante Entwicklungstempo sowie über die Lösungen, mit denen Bühler seine Kunden unterstützt.

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Cornel, fahren Sie ein Elektroauto und was sind Ihre Erfahrungen damit?

Cornel : Ich fahre seit über vier Jahren ein Elektroauto, doch ich würde mir kein weiteres anschaffen. Denn man muss sich immer darüber im Klaren sein, wo man sein Auto als Nächstes auflädt und wie weit man damit fahren kann. Gerade wenn man mit der Familie in den Urlaub fährt, muss man öfter eine Pause einplanen.

Welche Entwicklungen in der Automobilindustrie sind heute schon Realität, welche schreiten schneller voran als gedacht, und welche brauchen noch ein bisschen mehr Zeit?

Cornel : Der Trend zur E-Mobilität schreitet viel schneller voran als gedacht. Vor einiger Zeit führten wir eine Analyse mit einem Basis-, einem mittleren und einem optimistischen Zukunftsszenario durch. Dabei übertrifft die heutige Entwicklung selbst unser optimistischstes Szenario! Der Wandel hin zur E-Mobilität ist inzwischen überall sichtbar. Schauen Sie sich nur Tesla und die vielen chinesischen Unternehmen an, die neue Elektrofahrzeuge herstellen.

Es ist aber auch klar, dass wir in den nächsten Jahrzehnten weiterhin mit allen Arten von Antrieben unterwegs sein werden - vollelektrisch, Hybrid, mit Brennstoffzellen und mit Verbrennungsmotoren. Was die anderen Trends angeht, so entwickelt sich die Konnektivität so rasant, sodass man sich das Auto der Zukunft als einen Computer auf vier Rädern vorstellen kann. Was das gemeinsame und autonome Fahren betrifft, so wird es länger dauern, bis sich diese Entwicklung durchsetzt, wobei kein Zweifel darin besteht, dass es so weit kommt.

Marcel, Sie sind seit dem 1. März dieses Jahres für den Bereich Advanced Materials bei Bühler verantwortlich. Geben Sie uns einen näheren Einblick in Ihre Position?

Marcel : Die neue Position hält für mich viele spannende Aufgaben bereit, für die ich sehr dankbar bin. Ich übernahm diesen Geschäftsbereich zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Märkte grundlegend veränderten. Die Schlüsselwörter der neuen Ära der Mobilität sind 'Konnektivität', 'Autonomie', 'Sharing' und 'Elektrifizierung'. Das eröffnet neue Möglichkeiten für alle Marktteilnehmer, auch für Bühler. In den letzten Jahren wurde viel Wert auf die strategische Entwicklung von Innovationen gelegt, sodass wir heute Schlüsseltechnologien und -lösungen in diesem Bereich anbieten können – genau zu einem Zeitpunkt, in der diese „Trends“ Realität werden.

Was bedeutet das für die Automobilhersteller? Was sind die Chancen und Risiken, denen sie sich bei diesem Übergang stellen müssen?

Marcel : Beginnen wir mit den Chancen. Wir befinden uns in einer Phase, in die Mobilität des Autos neu definiert wird. Mit dem Know-how, das die Automobilhersteller (OEMs) in den letzten 100 Jahren erworben haben, können sie jetzt innovative Fahrzeugkonzepte entwickeln, die neue Fahr- und Sicherheitslösungen ermöglichen. Dies geschieht beispielsweise, indem sie neue Fertigungsmethoden anwenden sowie auf andere Lieferketten setzen. Außerdem sind sie in der Lage, Lösungen entwickeln, die weitaus umweltfreundlicher und komfortabler sind. Sie können Kunden Dienstleistungen anbieten und effizienter produzieren. Und sie können ihre Angebote durch andere Verkaufsmethoden besser vermarkten, z. B. online.

Gibt es auch Risiken und Herausforderungen, die zu bewältigen sind?

Marcel : Auf jeden Fall. Die zentrale Herausforderung liegt in der Geschwindigkeit des Wandels. Dabei stellt sich die Frage, ob man sich schnell genug verändern kann, um mit dieser neuen Welt Schritt zu halten. Und zwar nicht nur mit neuen Produkten und Fertigungstechnologien, sondern vor allem auch mit dem eigenen Image. Ein großes Händlernetz zum Beispiel, das bisher das Schlüsselelement für die Vermarktung von Autos war, reicht heute nicht mehr aus, um die Zielgruppe zu erreichen.

Da gibt es zum Beispiel Newcomer, die ganz anders denken und handeln und deshalb in diesem Bereich schneller vorankommen. Dasselbe gilt für neue Automobilkonzepte. Software und Konnektivität sind von zentraler Bedeutung, sodass in diesem Bereich mehr Ressourcen und Kompetenzen erforderlich sind. Doch es gibt noch viele weitere Herausforderungen, die die gesamte Branche betreffen. Gesetze und staatliche Vorschriften haben einen großen Einfluss auf die Planung und Entwicklung der Mobilität. Dies ist von Land zu Land und von Region zu Region unterschiedlich. Nehmen wir zum Beispiel die Annahme, dass Elektroautos einen wichtigen Beitrag zum Übergang zu einer nachhaltigen Mobilität leisten müssen. Dies erfordert jedoch noch mehr Kapazitäten für die Entwicklung CO₂-neutraler Autos und Lösungen.

Wie wird sich dies auf den Wettbewerb unter den Automobilherstellern auswirken?

Cornel : Die Karten werden derzeit völlig neu gemischt. Das ist der Grund, warum in der Automobilindustrie immer neue Marken und Unternehmen aus dem Boden schießen, vor allem in China und den USA.

Wir befinden uns in einer Start-up-Phase. In dieser Situation bieten sich die meisten Chancen für chinesische Hersteller, weil sie auf dem größten Markt aktiv sind und die Bevölkerung zudem sehr digital-affine ist.  Zudem genießen sie die volle Unterstützung der Regierung und bringen keine Altlasten mit. Die US-Autohersteller haben wiederum den besten Zugang zur Software, was ihnen einige Vorteile verschafft. Die europäische Automobilindustrie, insbesondere die deutschen OEMs und ihre Zulieferer, befinden sich hingegen in einer schwierigeren Lage.

Die Schlagworte dieser neuen Ära der Mobilität sind "Konnektivität", "Autonomie", "Sharing" und "Elektrifizierung". Sie eröffnen neue Chancen für alle Marktteilnehmer, auch für Bühler.
MARCEL NATTERER, CEO ADVANCED MATERIALS BEI BÜHLER

Wir haben über die Möglichkeiten gesprochen, die sich aus neuen Produktionsmethoden ergeben. Was ist mit dem Druckguss? Welche Rolle spielt er bei dieser industriellen Transformation?

Cornel : Autos werden hauptsächlich aus Stahl, Kunststoff oder Aluminium hergestellt. Alle Rohstoffe haben ihre eigenen spezifischen Eigenschaften, mit Vor- und Nachteilen. Aber nur Aluminium bietet die Möglichkeit, große Teile in einem Arbeitsgang herzustellen, die ein hohes Maß an funktionaler Integration und Festigkeit für die Karosserie bieten. Aus diesem Grund hat sich in den letzten Jahrzehnten ein allgemeiner Trend hin zu Strukturteilen aus Aluminium, wie Stoßdämpfertürmen und Längsträgern, entwickelt. Mit der Umstellung auf elektrische Antriebe, müssen die Automobilhersteller die Karosserie ohnehin neu überdenken, mit der Möglichkeit, ihre Herstellung massiv zu vereinfachen.

Auf welche Art und Weise?

Cornel : Die Idee ist, die gesamte Karosseriestruktur im Wesentlichen aus drei Teilen zu fertigen: zwei für die Front- und Heckpartie und ein Mittelteil, in dem die Batterie untergebracht ist. Die Teile bestehen weitgehend aus Aluminium, die in einem einzigen Arbeitsgang hergestellt werden und jeweils über 100 kg wiegen.

Wie funktioniert dieses Verfahren?

Cornel : Es handelt sich um ein „neues“ Druckgussverfahren, das wir Megacasting nennen. Bühler entwickelte in diesem Zusammenhang eine neue Serie von Maschinen, die Carat 610, 840 und 920. Die letzte dieser Maschinen hat eine Schließkraft von bis zu 92.000 Kilonewton - eine Kraft, die ausreicht, um den Eiffelturm anzuheben. Aber Megacasting funktioniert nur, wenn man den Zellfluss neu überdenkt. Ein Beispiel: Die benötigte Aluminiummenge ist so hoch, sodass jede Zelle die Kapazität eines Schmelzofens benötigt. Außerdem müssen die Handhabungsgeräte - für die Teile und die Pressen für den Transport und die Verarbeitung von so schweren Teilen ausgelegt sein.

Was sind die Vorteile für OEMs?

Cornel : Ein Megacast-Aluminiumteil kann bis zu 100 kleinere Stahlteile ersetzen. Stellen Sie sich vor, was das für den Fußabdruck und die Montage in der Fabrik bedeutet. Eine grobe Schätzung besagt, dass dadurch etwa 30 Prozent an Platz und mehrere hundert Roboter eingespart werden können.

Denken Sie auch an den technischen Aufwand, der dadurch minimiert werden kann. Es ist schwer, all dies in konkrete Zahlen zu fassen, aber es ist offensichtlich, dass es in die Millionen geht.

Welche der OEMs sind bereits auf den Zug aufgesprungen?

Cornel : Bislang haben etwa 10 OEMs beschlossen, Teile mit Megacasting zu gießen. Dazu gehören Tesla, das schon vor einigen Jahren damit begonnen hat, neue chinesische Autohersteller wie NIO, Human Horizon und X-Peng sowie Volvo und einige andere.

Was sind die Herausforderungen beim Megacasting?

Cornel : Die größten Herausforderungen sind unter anderem die neue Dimension der Teile und die Integration des Gusses in die Montagelinie des Autos. Die Hersteller wollen sicherstellen, dass sie Teile von 100-prozentiger Qualität und ohne Ausschuss erhalten. Die Anforderungen an die vollständige Transparenz und Kontrolle des Prozesses sind heute höher denn je.

Sind diese Herausforderungen nicht typisch für diese Branche?

Marcel : Eher nein. Mit dieser Herausforderung haben viele Branchen zu kämpfen. Der Schlüssel zur Bewältigung liegt in den Daten und digitalen Schnittstellen und Applikationen - d.h. Sensoren, Datenpunkte, Cloud-Plattformen, Analytik und Überwachung -, die eine vollständige Prozesskontrolle und Rückverfolgbarkeit ermöglichen. Bühler hat in den letzten Jahren massiv in diesen Bereich investiert und kann heute eine breite Palette von Dienstleistungen anbieten. Wir haben unsere eigene Branchenplattform namens Bühler Insights entwickelt.

Was bietet diese den Kunden?

Marcel : Damit können wir innovative Dienstleistungen anbieten, wie zum Beispiel MyBühler, dass viele Funktionen wie E-Services, E-Maintenance und E-Training, Fernberatung und -unterstützung in Echtzeit, webbasierte Automatisierungsschnittstellen, Dashboards mit Ausfallzeitanalysen und einen Online-Ersatzteilkatalog mit allen zugehörigen kommerziellen Funktionen umfasst - sowie vieles mehr für eine ganzheitliche Kundenzufriedenheit. Heute sind alle Bühler Lösungen mit Bühler Insights verbunden. Die Schlüssellösung für den Druckguss ist unsere integrierte Digital Cell mit dem SmartCMS (Smart Cell Management System). Sie hilft unseren Kunden, ihre Effizienz- und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

Wie genau funktioniert das?

Cornel: Die Digital Cell vereint alle einzelnen Druckgusskomponenten in einem intelligenten digitalen System namens SmartCMS. Mit der Möglichkeit, Informationen von allen integrierten Peripheriegeräten zu sammeln und zu verwalten, wird SmartCMS den Prozess grundlegend verändern. Ziel der digitalen Zelle ist es, null Prozent Ausschuss, 40 Prozent weniger Zykluszeit und eine 24/7-Betriebszeit zu erreichen. Mit Megacasting gewinnt dieses Konzept noch mehr an Bedeutung.

Wie weit ist Bühler im Druckguss bei der Umsetzung dieses Konzepts?

Cornel : Derzeit haben wir zwei voll integrierte Zellen in Betrieb - eine in unserer Testanlage und seit fast einem Jahr eine Zelle bei einem Kunden für die industrielle Produktion.

Der Trend zur E-Mobilität schreitet viel schneller voran, als wir erwartet haben. Klar ist, dass auch in den nächsten Jahrzehnten alle Arten von Antriebssystemen erhalten bleiben werden.

CORNEL MENDLER, GESCHÄFTSFÜHRER DRUCKGUSS BEI BÜHLER

Wir befinden uns in einer Zeit, in der viele Zukunftsvisionen für Mobilität Realität werden. Abgesehen vom Druckguss, welche anderen Lösungen kann Bühler anbieten?

Marcel : Mobilität und Automobilbau sind die wichtigsten Märkte für den gesamten Bereich "Advanced Materials" von Bühler. Leybold Optics, spezialisiert auf hochpräzise Beschichtungen, verfügt über Lösungen zur Herstellung aller Sensoren und Injektoren, die für autonomes, sicheres und komfortables Fahren benötigt werden. Die Informationen, die diese Sensoren sammeln, sind auch für vernetzte Mobilitätssysteme unverzichtbar. Eine weitere Anwendung dieser Kernkompetenz ist die Beschichtung von Autoscheiben zur Verbesserung des Innenraumklimas. Beschichtetes Autoglas kann helfen, den Energieverbrauch für Heizung und Klimatisierung deutlich zu senken - das bedeutet zum Beispiel für Elektroautos, dass sie mit einer Batterieladung längere Strecken zurücklegen können.

Zu guter Letzt entwickelte unser Geschäftsbereich Grinding & Dispersing ein kontinuierliches Verfahren zur Herstellung von Elektroden-Batterieslurry - eine Schlüsselkomponente für Batterien - in höherer Qualität, mit geringerem Energieverbrauch und mit kleinerem Platzbedarf.

Dies ist ein fundamentaler Fortschritt. Welche weiteren Möglichkeiten ergeben sich daraus?

Marcel : Im Zuge des Wandels werden für alle Bereiche neue Dienstleistungen entwickelt, vor allem im Hinblick auf die Digitalisierung, z. B. die Inline- und Sofortqualitätskontrolle. Das Credo lautet: Neue Materialien schaffen neue Märkte. Bei Bühler bieten wir bereits heute Mahl- und Dispergierlösungen an, die das Angebot unserer Kunden, die Vorprodukte und Materialien für Batterien benötigen, erweitern.

Fortschrittliche Infotainment-Systeme, Sicherheit und autonomes Fahren, wie z.B. LiDAR, werden die Nachfrage nach verbesserten Sensoren und präziseren Optiken weiter vorantreiben. Neben dem Wandel in der Mobilität sind auch Veränderungen in der Art und Weise, wie wir Rohstoffe verbrauchen, einschließlich des Recyclings und der Verarbeitung von Sekundärmaterialien, für uns zunehmend interessant und werden unserem Geschäftsbereich Advanced Materials und unseren Kunden neue Chancen eröffnen.

In Zeiten des Wandels gibt es einen gewissen Hype. Wie nachhaltig sind diese Trends denn tatsächlich?

Cornel : In den Fabriken, die sich derzeit im Bau befinden, werden in etwa drei bis fünf Jahren die ersten Fahrzeuge hergestellt. In diesem Zeitraum rechnen wir mit einer steigenden Nachfrage nach neuen Teilen und vielleicht auch nach neuen Plattformen.

Was ist das größte Risiko?

Marcel : Meines Erachtens sind die Trends, über die wir gerade besprochen haben, unumkehrbar. Daher denke ich, dass das größte Risiko für alle Beteiligten, ob OEM, Zulieferer oder Lösungsanbieter, darin besteht, nichts zu tun und abzuwarten..

Und Marcel, erwägen Sie den Umstieg auf ein Elektroauto?

Marcel : Das überlege ich mir gerade. Ich denke, ich werde den Umstieg schrittweise vornehmen und mir zunächst ein Hybridfahrzeug anschaffen.


 

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