Win-Win-Situation für Hochschule und Eisengießerei
Die Zusammenarbeit mit der Hochschule bringt zahlreiche Vorteile mit sich, wie auch EDV-Leiter Hacquin findet. „Professor Hartmann unterstützt uns mit den richtigen Leuten, sodass wir zu positiven Ergebnissen kommen.“ Und auch seitens der Hochschule Kempten wird die Zusammenarbeit als Win-Win-Situation gesehen. „Wir müssen von Anfang an die richtigen Partner haben, um ein Projekt zum Laufen zu bringen und um dafür zu sorgen, dass es weitergeht. Und bei der Kemptener Eisengießerei ist das der Fall“, unterstreicht auch Prof. Dr.-Ing. Frieder Heieck vom IPI.
Und auch Gießerleiter Michael Windl befürwortet die zahlreichen Vorteile, die sich aus der Zusammenarbeit ergeben, wie zum Beispiel eine Kosteneinsparung von 5,4 Prozent bei gleichem Produktionseinsatz: „Ich kann bestätigen: Es ist immer ein Miteinander. Man versucht alles gemeinsam im Team zu gestalten.“ Dabei liegt das Erfolgsgeheimnis einer gelungenen Kooperation liegt nicht nur im Miteinander, sondern hängt auch von den äußeren Rahmenbedingungen ab. „Was es braucht, ist ein gemeinsamer Rahmen, in dem man sich gut bewegen kann. Entscheidend ist, dass finanzieller Spielraum und Zeit zur Verfügung stehen und dass man Teilerfolge feiert“, so Windl.
Was bedeutet Digitalisierung und KI in Bezug zur Gießerei?
Künstliche Intelligenz und Digitalisierung hängen zusammen. Dabei stellt sich die Frage: Was bedeutet Digitalisierung in Bezug zur Gießerei? „Was wir möchten, ist eine Informationsbasis zu erschaffen, um die Arbeit im Unternehmen zu erleichtern, effizienter und effektiver zu werden, um damit letztlich einen Beitrag zur Zukunftssicherung des Unternehmens zu leisten. Dabei geht es zunächst einmal gar nicht um KI. Natürlich haben wir KI-Projekte, wenn es um die Analyse und Optimierung komplexer Prozesszusammenhänge geht. Doch die Basis sind erst einmal Daten. In einer Gießerei laufen unglaublich viele Prozesse gleichzeitig ab, sind extrem miteinander vernetzt und beeinflussen sich oft gegenseitig. Und eine ausreichende Datengrundlage ermöglicht Wissensbildung und bildet das Fundament für KI-gestützte betriebliche Entscheidungen“, erklärt Hartmann. Dieser Meinung ist auch Geschäftsführer Herr Hübner, der in diesem Zusammenhang die Wirtschaftlichkeit eines Projekts betont. „Daten sammeln muss sich rechnen. Sonst kommen wir nicht auf die Gewinnerstraße und es gibt viele Störstellen.“
Laut Hacquin existiert mittlerweile einemittlerweile eine vollständige durchgängige Datenstruktur in der Kemptener Eisengießerei. „In jüngster Vergangenheit konnten sehr viele Daten gesammelt werden. Diese werden momentan in einer Cloud gespeichert, in der bereits viele Gigabyte an Unternehmensdaten zum Sichten und Auswerten vorliegen. Diese Daten bilden die Grundlage für Betriebsleitung und Geschäftsführung, um Entscheidungen zu treffen“, so der EDV-Leiter.
Die Frage ist, was machen wir mit den Daten?
Hacquin geht in seiner Fragestellung sogar noch einen Schritt weiter: „Die Anlagen, die wir haben, sammeln ja ohnehin Daten. Heute sind wir jedoch an dem Punkt, dass wir Anlagen wollen, die – individuell für uns – Daten sammeln. Es geht dabei um die Grundsatzfrage, zu welchem Zeitpunkt können wir überhaupt Informationen sammeln? Zum Beispiel beim Einschalten eines Schmelzofens, oder beim Tiegelwechsel?“ Viele Projekte scheitern nicht am Punkt Daten zu sammeln, sondern an der Grundsatzfrage, wie die Daten genutzt werden können. Die Kunst besteht also darin, die Erkenntnisse der Wissenschaft mit der Erfahrung der Produktion zu vereinen. Das alles auf der Grundlage eines gemeinsamen strukturierten Vorgehens um über die Fragetechnik, Zielsetzungen, Wünsche und Notwendigkeiten herauszuarbeiten. Die Lösung sieht Hacquin darin, jeder Abteilung die geeigneten Daten bereitzustellen. Oder wie es Heieck zusammenfasst: „Unser Ziel ist eine Datenvernetzung auf hohem Niveau, um sinnvolle Zusammenhänge zu analysieren.“
Die „richtige“ Interpretation der Daten durch geeignetes Fachpersonal
Und auch Hartmann findet: „Wenn es darum geht, die Zusammenhänge herzustellen – wenn es um den Datenvergleich geht – dann ist es wichtig, dass dies von einem IT-Spezialisten gemacht wird. Das klingt zwar einfach umsetzbar, doch es ist gar nicht so einfach solche Leute zu finden.“ Die Kemptener Eisengießerei ist derzeit auf der Suche nach dem geeigneten Personal, diese immense Datenvielfalt „richtig“ zu analysieren. Denn um einen Gießereibetrieb zu optimieren, muss laut Hacquin anders selektiert werden als beispielsweise für die Qualitätssicherung oder die Arbeitsvorbereitung.
Welche Vorteile bringt die Digitalisierung und Anwendung von KI in der Kemptener Eisengießerei?
Der Vorteil ist, dass hohe Kosten in der Gießerei eingespart werden können. Das betrifft zum Beispiel die Frage, wann der günstigste Zeitpunkt ist, die Schmelztiegel zu ersetzen. Werden sie zu früh ersetzt, verursacht das einen großen Kostenblock in der Neuanschaffung. Ersetzt man sie jedoch zu spät, besteht die Gefahr, dass sie reißen und dabei Schmelze ausstritt. Mittels KI lässt es sich also unter Berücksichtigung der vielfältigen und sich ständig verändernden prozessbedingten Einflussgrößen vorausberechnen, wann die Schmelztiegel ersetzt werden müssen. Und heute ist die Gießerei Kempten an dem Punkt, dies genau vorauszubestimmen. Diese Ergebnisse bringen lt. Windl ganz neue Denkanstöße. „Der Tiegelverschleiß hat einen großen Einfluss auf den Energieverbrauch, doch das sieht man in den Daten ohne besondere Analysen gar nicht“, so Windl. Aufgabe der KI ist es, komplexe Wirkzusammenhänge in den Daten zu erkennen und für Entscheidungen über eine optimierte Prozessführung nutzbar zu machen.
Hinsichtlich der Schmelzeinrichtung hatte Kemptens Ausrüster ABP Induction Lösungen für eine umfassende Datenerfassung verfügbar, doch kein Fachpersonal, das unternehmensspezifische Datenanalysen durchführt. Florian Huber, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hochschule Kempten, hat heute die Möglichkeit, auf die gesamte Datenstruktur der Kemptener Eisengießerei zuzugreifen, so auch auf alle Daten des Energiemanagementsystems. So werden die Zusammenhänge zwischen Prozessführung und Energieverbrauch unmittelbar sichtbar und für entsprechende Optimierungsmaßnahmen verwendbar gemacht.
Gießereianlagenbauer werben heute bewusst damit, dass ihre Maschinen und Anlagen eine Vielzahl an Messdatenan Messdaten liefern, egal ob Schmelzanlage oder Sandmischer. „Aber Maschinen sind erst einmal nur Datenquellen. Dass sie eine KI anbieten, die Daten verknüpft und Lösungsvorschläge anbietet, gibt es so nicht“, so Hartmann. Mit dem Energiemanagementsystem werden Energieverbrauchsdaten gesammelt und statistisch aufbereitet. Doch anschließend braucht es Kompetenzen, die genau mit diesen Daten experimentieren und sie mit anderen Produktions-oder Prozessdaten intelligent verknüpfen. Genau an dieser Stelle setzt die Entwicklung von KI-Prozessmodellen an. Und deren Nutzen und Anwendbarkeit ist vom unmittelbaren Zusammenwirken der beteiligten Kompetenzen abhängig, das sind hier die Gießerei selbst, der Ofenbauer ABP und die KI-Kompetenz des IPI. Und erst dieses Zusammenarbeiten aller erforderlichen Erfahrungen und Kompetenzen ist die Grundlage für den Erfolg von Digitalisierungsprojekten“, so Hartmann.
Wie bereitet man die Mitarbeiter auf die Digitalisierung vor?
Ein anderes Thema ist die Unsicherheit der Mitarbeiter im Gießereibetrieb, was die Digitalisierung angeht. Denn noch ist die Mentalität von Gießern eher traditionell. „All unsere Gießberichte werden händisch geschrieben und anschließend in der AV digitalisiert. Es gab den Versuch, alle Gießberichte in eine App zu bringen, sodass jeder Mitarbeiter Informationen darüber erhält, was beispielsweise am Vortag produziert wurde. Doch das Projekt wurde eingestellt, da die Mitarbeiter hierfür noch nicht bereit waren“, so Kraus.
Bei der Digitalisierung ist ein Unternehmen jedoch auf die Unterstützung seiner Mitarbeiter angewiesen. Oft mangelt es jedoch an Transparenz, was die Befürchtungen der Mitarbeitenden „eines Tages durch die Maschine ersetzt zu werden“ nur noch bestärkt. Das sieht auch Alexander Kraus so, der in der Kemptener Eisengießerei für die Arbeitsvorbereitung zuständig ist. „Viele unserer Mitarbeiter – gerade die ältere Generation – können sich nicht vorstellen, was Digitalisierung bedeutet. Ihnen fällt die Vorstellung schwer, dass eine Maschine dasselbe machen soll, wie sie selbst. Dabei geht es gar nicht darum, die Leute durch eine Maschine zu ersetzen, sondern sie in ihrer Arbeit unterstützen.“
Die Kunst ist, sich vom alten Arbeitsstil abzukoppeln und die Neugier der Mitarbeiter zu wecken, um sie für das Thema Digitalisierung zu öffnen. Dieser Meinung ist auch Hartmann, der in diesem Zusammenhang betont, dass es darum geht, die Arbeit der Mitarbeitenden leichter zu machen. „Man muss einen Lösungsweg finden, ohne dass betriebliche Bedürfnisse vernachlässigt werden. Denn, wenn Daten während des Produktionsprozesses gesammelt werden, sind das zusätzliche Arbeiten. Deshalb müssen wir die Mitarbeiter aktiv in diesen Prozess miteinbinden“, so Hartmann.
Veränderungen in Aus- und Weiterbildung in der Gießereibranche
Ein Kernanliegen für Gießereien liegt in der Anpassung von Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter hinsichtlich der Digitalisierung. Genau hier sollte lt. Heieck auch in der Ingenieurausbildung angesetzt werden. „Grundlegende IT-Kenntnisse z.B. in Programmiersprachen, die häufig in Webanwendungen, im Umgang mit Daten und im Machine Learning (ML) verwendet werden, sollten ein unmittelbarer Bestandteil der Ingenieurausbildung sein. Ingenieure von morgen müssen das lernen“, so Heieck. Schließlich sind sich alle in der Runde einig, dass es darum geht, dass das Fachpersonal über den Tellerrand hinausschaut und den Produktionsprozess als Ganzes wahrnimmt. Damit kommt den Schnittstellen zwischen Mitarbeiter und Prozess eine besondere Rolle zu, die in Form von einfach und effektiv arbeitenden und zu bedienenden Assistenzsystemen, entwickelt werden müssen. „Im Institut diskutieren wir gerade darüber, wie wir das aufgreifen können. Wir müssen für die Arbeitsplätze in einem digitalisierten Produktionsumfeld der jeweiligen Mitarbeiteraufgabe angepasste Unterstützungstools entwickeln“, so Hartmann.
Wo geht die Reise hin? Zukunftsausblick der Kemptener Eisengießerei
Die Kooperation zwischen der Kemptener Eisengießerei und Hochschule wird auch in Zukunft weiterhin bestehen, denn alle Teilnehmer sind hochgradig motiviert.
„Wir wollen unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen und in der ersten Liga mitspielen. Wir möchten uns von Mitbewerbern abheben, in dem wir weiterhin Projektarbeit fördern, gerade mit der Hochschule Kempten“, betont Roland Hübner, Vorstand der Kemptener Eisengießerei. Weitere übergeordnete Ziele sind Effizienzsteigerung, Stabilität und Energieeinsparungen. Auch möchte die Kemptener Eisengießerei Strukturen und ein Grundverständnis für Digitalisierung und KI schaffen – Schritt für Schritt mit Zeit, Geduld und Demut. Und vor dem Hintergrund des gravierenden Fachkräftemangels geht es heute darum, das im Unternehmen vorhandene Erfahrungswissen so zu sichern, dass es für kommende Mitarbeitergenerationen einfach zugänglich ist. Bei Digitalisierungsanstrengungen der Kemptener Eisengießerei geht es immer darum, das Positive aus den gemeinsamen Projekten zu ziehen und immer wieder neue Erfolge zu verzeichnen. Doch das wichtigste Ziel der Kemptener ist, zu den besten Gießereien in ganz Deutschland zu zählen – auch in diesem Punkt sind sich alle in der Runde einig.